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Viel ist es nicht mehr, was die Schweiz zusammenhält

Wenig Begeisterung für Olympische Spiele, keine Lust auf eine Expo. Braucht die Schweiz keine Feste mehr?

Luzi Bernet 4 min
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Schweizer Fans an einem Super-G-Rennen in Crans-Montana. (24. Februar 2017) (Bild: Alessandro Della Bella / Keystone)

Schweizer Fans an einem Super-G-Rennen in Crans-Montana. (24. Februar 2017) (Bild: Alessandro Della Bella / Keystone)

Eine Milliarde Schweizerfranken. Das ist viel Geld, sehr viel. Nach der Meinung des Bundesrates dient es dazu, im Jahr 2026 im Wallis Begeisterung auszulösen. Jedenfalls hat er diese Woche eine Defizitgarantie in dieser Höhe gesprochen, damit die Olympischen Winterspiele «Sion 2026» möglich werden.

Andrerseits: Eine Milliarde Franken ist wenig Geld, wenn man es als Ausgabe zur Stärkung der nationalen Identität und des Zusammenhalts betrachtet. Zum Vergleich: Für den medialen «Service public», wie ihn die SRG predigt, zahlen die Schweizer 1,2 Milliarden Franken an Gebühren. Pro Jahr. Dagegen nimmt sich die einmalige Milliarde für Sion eigentlich geradezu bescheiden aus.

Wir begnügen uns mit ein paar Roger-Federer-Momenten und mit einer Swissness, die sich nicht von ungefähr auf Wellness reimt.

Das Problem ist: Ausser den involvierten Kantonen und ein paar Enthusiasten glaubt in der Schweiz niemand daran, dass «Sion 2026» die von Bundesrat Parmelin beschworene «cohésion nationale» auch wirklich beflügeln wird.

Dafür gibt es mittlerweile einfach zu viele schlechte Nachrichten von Sportgrossveranstaltungen: Infrastrukturbauten, die verfallen, unbeglichene Rechnungen, Korruption in den Sportverbänden, Gigantismus. Selbst wenn die Walliser Olympia-Promotoren alles besser machen wollen – Skepsis bleibt.

Schweizer Festbrüder und -schwestern

Ähnliches lässt sich von den Bemühungen sagen, in der Schweiz wieder einmal eine Landesausstellung zu realisieren. Der Funke will nicht überspringen. Letztes Jahr haben die St. Galler und Thurgauer Stimmbürger den Plänen für eine Expo in ihren Kantonen eine Abfuhr erteilt. Und ob das Vorhaben der Schweizer Städte, gemeinsam eine Landesausstellung zu organisieren, je realisiert wird, steht in den Sternen.

Warum bloss wollen die Schweizerinnen und Schweizer nicht feiern? Warum gehen sie organisierten Begegnungen über Sprach-, Kultur- und Mentalitätsgräben aus dem Weg? An mangelnder Geselligkeit kann es nicht liegen. Die Schweizer sind weder besonders mürrisch noch miesepetrig, sondern im Gegenteil ausgesprochene Festbrüder und -schwestern. Nichts zieht sie mehr in den Bann als Bratwurst, Brot und Bier.

Wer in den Sommermonaten übers Land fährt, trifft in jedem Dorf, vor jeden Möbelhaus und auf jedem Sportplatz auf Menschen, die miteinander feiern. Im Herbst findet man sie (mindestens einige von ihnen) auf einem der zahlreichen Oktoberfeste, die sich auf schwindelerregende Art vermehren. Und wer sich statt an bajuwarische Traditionen lieber an schweizerisches Kulturgut hält, reist entweder an die Olma oder alle drei Jahre ans Eidgenössische, wo sich Schwinger, Hornusser und Steinstösser messen.

Patriotismus light

Gefeiert wird und wurde ordentlich in der Schweiz. Die Schweiz des 19. Jahrhunderts war imprägniert von Festen aller Art. Schützen-, Chor- und Turnfeste dienten der Schaffung eines Nationalbewusstseins, nach 1848 sollten sie die nationale Versöhnung verkörpern. Im 20. Jahrhundert trat an die Stelle der Nationalfeste die «Leistungsschau», etwa die legendäre Landi 1939 oder die Expo 64.

Waren schon jene Anlässe von intensiven Auseinandersetzungen begleitet, so gerieten 1991 die 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft und 2002 die Expo 02 zur Bühne heftiger Diskussionen. Aber immerhin: Die Anlässe fanden statt und haben sich in die kollektive Erinnerung eingebrannt.

Seither ist es schwieriger geworden. Man geht dem Thema lieber aus dem Weg. Die Lust auf das eine, grosse Happening - sei es in Form Olympischer Winterspiele, sei es als Landesausstellung - ist uns abhandengekommen. Stattdessen begnügen wir uns mit ein paar glücklichen (und glücklicherweise anhaltenden) Roger-Federer-Momenten und mit einer Swissness, die sich nicht von ungefähr auf Wellness reimt. Es ist eine Art Patriotismus light, die konfliktfreies nationales Wohlbefinden vermitteln soll.

Ist das schlimm? Serbelt die Schweiz wirklich an der «Wurzelfäule» dahin, wie es Peter von Matt einmal drastisch formuliert hat?

Des Streitens überdrüssig

Die Zeiten haben sich geändert. Begegnungen zwischen Menschen sind dank der Digitalisierung rund um die Uhr und über Täler und Berge hinweg jederzeit möglich. Die moderne Schweiz braucht kein identitätsstiftendes «Nation-Building» mehr wie im 19. Jahrhundert - abgesehen davon, dass sie nach wie vor etwas anders funktioniert als die grossen Nationalstaaten in Europa.

Aber viel ist es zugegebenermassen nicht mehr, was die Eidgenossenschaft zusammenhält - jedenfalls weniger, als uns die politische Rhetorik mitunter vorgaukelt. Sicher, die direkte Demokratie verbindet. Doch kräftige Integrationsmotoren wie die Volksschule oder der Militärdienst laufen auf markant tieferen Touren. Die Kenntnisse der jeweils anderen Landesteile nehmen rasant ab - selbst wenn gerade erst ein Tessiner den Sprung in die Landesregierung geschafft hat.

Noch 1991 hat man mächtig gestritten miteinander. Anlässlich der 700-Feier prallten Weltanschauungen aufeinander, unterschiedliche Konzeptionen von der Stellung der Schweiz in Europa und der Welt. Heute hat sich der Ton versachlicht, aber auch verflacht. In gewisser Weise ist man des Streitens überdrüssig geworden.

Die Schweiz hat aufgehört, über sich nachzudenken, der mediale Diskurs und das öffentliche Leben sind zunehmend fragmentiert. Daran ändern auch Olympische Winterspiele im Wallis nichts. Die Schweiz müsste wieder ergründen, was sie ist und sein will - dann ergäbe sich das Feiern von allein.