nzzas.ch

Malta: «Wohin man schaut, überall Gauner»

Auf Malta wird eine kritische Journalistin in ihrem Auto in die Luft gejagt. Ihre Ermordung war nicht der erste Bombenanschlag. Was ist los im Steuerparadies der EU?

Patricia Arnold, Valletta 6 min
Drucken
Auf Malta boomt die Wirtschaft dank tiefen Unternehmenssteuern, russischen Oligarchen und Milliardären aus den Golfstaaten. (Bild: Skrypko Ievgen)

Auf Malta boomt die Wirtschaft dank tiefen Unternehmenssteuern, russischen Oligarchen und Milliardären aus den Golfstaaten. (Bild: Skrypko Ievgen)

Als wäre nichts passiert. In Maltas Hauptstadt Valletta herrscht Betriebsamkeit. Wie jeden Tag schieben sich Tausende Touristen durch die engen Gassen. Aus den Lautsprechern in Cafés dröhnt Musik. Händler bieten Tand aller Art feil. Von Trauer ist auf den Strassen im kleinsten EU-Mitgliedsland nichts zu spüren. Dabei wurde diesen Montag Daphne Caruana Galizia, die bekannteste Journalistin und Bloggerin der Mittelmeerinsel, bei einem Bombenanschlag ermordet.

Die 53-jährige Malteserin hatte viele Feinde, denn Politikern und Geschäftsleuten des Inselstaats warf sie seit Jahren Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung vor. «Das machte nur sie», sagt der maltesische Universitätsprofessor Arnold Cassola. Auf ihrer Internet-Plattform «Running Commentary» veröffentlichte Caruana Galizia regelmässig ihre Vorwürfe, auch gegen Regierungsmitglieder. Zeitweise hatte sie bis zu 400 000 Leser, fast so viele, wie das Steuerparadies Einwohner hat. «Caruana Galizia hatte vor niemanden Angst», sagt Cassola.

Nur wenige Passanten bleiben vor den Blumen und Kerzen auf den Stufen vor der St.-John’s-Kathedrale im Zentrum von Valletta stehen. Gerechtigkeit, Pressefreiheit und Demokratie werden auf Handzetteln gefordert. Eine Schwarz-Weiss-Foto in einem Silberrahmen zeigt das schmale Gesicht der Bloggerin. «Eine Schande, dass so etwas in Europa passieren kann», sagt eine Engländerin leise.

Gewählt trotz Korruption

Caruana Galizia wurde mit ihrem Mietwagen unweit ihres Hauses beim Dorf Bidnija im Landesinneren in die Luft gejagt, ganz im Stil der sizilianischen Mafia in den neunziger Jahren. Der Sprengsatz war offenbar mit Fernsteuerung gezündet worden. Die Explosion war so stark, dass das Auto von der Strasse 80 Meter weit in ein Feld geschleudert wurde.

Bombenanschlag auf Malta

Noch etwa eine halbe Stunde vor ihrer Ermordung arbeitete Galizia an ihrem Blog. Sie schrieb: «Wohin man schaut, überall sind Gauner.» Die Lage sei hoffnungslos. Die Bloggerin gehörte zum Team von Journalisten, das die Panama-Papiere im vergangenen Jahr veröffentlichte. Premierminister Joseph Muscat von der sozialdemokratischen Labour-Partei geriet dadurch unter Korruptionsverdacht. Seine Ehefrau erhielt angeblich Schmiergelder aus Ölgeschäften in Aserbaidschan. Millionen sollen auf ein Bankkonto in dem mittelamerikanischen Staat Panama geflossen sein. Der Skandal zwang Muscat, sich vorgezogenen Neuwahlen stellen. Trotz der Korruptionsaffäre wählten ihn die Malteser erneut.

Die 53-Jährige kämpfte in ihrem Blog «Running ­Commentary» gegen korrupte Geschäftsleute, Politiker und die Mafia. Niemand auf Malta tat dies – ausser ihr. (Bild: Imago)

Die 53-Jährige kämpfte in ihrem Blog «Running ­Commentary» gegen korrupte Geschäftsleute, Politiker und die Mafia. Niemand auf Malta tat dies – ausser ihr. (Bild: Imago)

Überrascht sind Regierungsgegner über den erneuten Wahlsieg nicht. Es mache schliesslich keinen grossen Unterschied, ob die linke Labour-Partei oder die konservative National Party an der Macht sei, sagen sie. In dem von England übernommenen Zwei-Parteien-System sehen viele Inselbewohner die Ursache für die schlechte politische Moral. Und Korruption gehört offenbar zu Malta. Auf der Insel, die jedes Jahr 2 Millionen Touristen zählt, trifft die Kultur aus der britischen Kolonialzeit auf die arabische Tradition. Malta steht mit einem Bein in Nordafrika, mit dem anderen in der EU.

In Malta zählt vor allem das Geld. In keinem anderen EU-Staat boomt die Wirtschaft wie hier. Russische Oligarchen, Milliardäre aus den Golfstaaten und reiche Libyer, die nach dem Sturz von Diktator Muammar al-Ghadhafi dem nordafrikanischen Wüstenstaat den Rücken kehrten, liessen sich in den vergangenen Jahren auf Malta nieder. Die Insel bietet neben niedrigen Unternehmenssteuern schliesslich noch viele andere Möglichkeiten. Auch maltesische und damit EU-Pässe sind im Angebot. Für etwa 1,1 Millionen Euro können sie von jedem erworben werden - ganz offiziell.

Das Leben auf Malta werde von Angst, Missgunst und Kriminalität beherrscht, schrieben die drei Söhne der ermordeten Bloggerin in einem offenen Brief an den Regierungschef Muscat. Wohl deshalb wollen sich viele Malteser nicht zu der Situation im Land äussern. So sollen sich Drogenbarone um Einfluss streiten und die süditalienische ’Ndrangheta mit allen Mitteln versuchen, die Kontrolle über das einträgliche Online-Spiel-Geschäft zu gewinnen. Auch damit setzte sich Caruana Galizia auf ihrem Blog auseinander.

Italienische Malta-Kenner behaupten, das Attentat auf die Bloggerin stehe im Zusammenhang mit illegalen Ölgeschäften aus Libyen. Unmengen von libyschem Öl sollen auf Geisterschiffen über Malta nach Italien verschoben und von dort in andere europäische Länder verkauft werden. Erst in den vergangenen Tagen verhaftete die Polizei in Süditalien mutmassliche Tatverdächtige.

«Caruana Galizia muss bei ihren Recherchen auf etwas ganzes Neues, bisher völlig Unbekanntes gestossen sein», vermutet Cassola. Nur damit kann sich der 63-jährige Mitbegründer der kleinen Umweltpartei Alternativa Democratica das brutale Attentat erklären. «So ein grausames Gewaltverbrechen war bisher auf Malta einfach nicht vorstellbar.»

Allerdings sind Sprengstoffanschläge im Steuerparadies Malta nicht selten. In den vergangenen zwei Jahren ermittelten die maltesischen Sicherheitsbehörden bereits siebenmal gegen Autobombenleger, den Mord an der Bloggerin nicht mitgezählt. «Diese hatten jedoch eine andere Qualität», sagt Cassola. Bisher wurden immer einfache Sprengsätze gelegt, der Wagen der Journalistin sei jedoch vermutlich mit dem Plasticsprengstoff Semtex in die Luft gejagt worden.

Behörden verschleiern Fälle

Bei der Suche nach Galizias Mördern wird die Polizei auf Malta von FBI-Agenten aus den USA und Spezialisten aus den Niederlanden unterstützt. Mit dieser ausländischen Hilfe wolle die Regierung, meint Matthew Xuereb von der Tageszeitung «Times of Malta », den europäischen Partnern zeigen: «Seht her, wir tun alles, um das Verbrechen aufzuklären.»

Zum den Stand der Ermittlungen hüllen sich die maltesischen Behörden bis jetzt in Schweigen. Der Journalist Xuereb verurteilt diese Politik der Null-Information. Sie sei aber nichts Neues, sagt er. «Jeder Kriminalfall wird schliesslich von den Behörden verschleiert.»


Geldwäscherei: Auch der Staat trägt Schuld

Sven Giegold ist der finanzwirtschaftliche Sprecher der Grünen-Fraktion im EU-Parlament und Mitglied des Untersuchungsausschusses zu den Panama-Papieren.

Sven Giegold ist der finanzwirtschaftliche Sprecher der Grünen-Fraktion im EU-Parlament und Mitglied des Untersuchungsausschusses zu den Panama-Papieren.

NZZ am Sonntag: Wie wichtig war die Arbeit der nun ermordeten Bloggerin Daphne Caruana Galizia?

Sven Giegold: Viele Informationen zur Geldwäsche, auf die ich mich stütze, hat sie zuerst veröffentlicht. Ich untersuche schon eine Weile die Verhältnisse auf Malta; da hatte ich Kontakt mit ihr. Sie war auch als Zeugin unseres Untersuchungsausschusses vorgeladen.

Sie haben geschrieben, der Mord zeige, wie Geldwäscher und Steuervermeider Aufklärung fürchteten. Was macht Sie so sicher, dass Geldwäsche und der Mord zusammenhängen?

Das hat mit dem systematischen Ausmass an Rechtlosigkeit in Malta zu tun. Rechtsstaatlichkeit gibt es hier nur teilweise. Bei gewöhnlichen Kriminellen funktioniert die Justiz. Aber rund um den Finanzplatz gibt es eine Kultur der Straflosigkeit mit sehr wenigen Verurteilungen.

Caruana Galizia hatte viele Feinde: Sie schrieb über Korruption in der Politik, über die Mafia, über Libyen, über Schlepper und Waffenschmuggler.

Es stimmt. Niemand weiss, wer der Täter war. Aber den maltesischen Staat trifft eine schwere Mitverantwortung. Sie hatte vor zwei Wochen die Polizei informiert, dass sie sich bedroht fühlt. Doch sie erhielt nicht den Schutz, den sie verdient hätte.

Am Dienstag will sich das EU-Parlament damit befassen.

Ja. Solche Morde passieren ja Gott sei Dank nicht mehr in anderen westeuropäischen Ländern. Aber auf Malta gibt es ein fundamentales Problem, wie sich gezeigt hat.

Kann das EU-Parlament überhaupt etwas ausrichten?

Wir können Druck ausüben, mehr nicht. Allerdings haben wir bei der Verfolgung von Geldwäschedelikten Instrumente in der Hand. Ich habe dazu Anfragen in Brüssel eingereicht, doch die Kommission hat seit vier Monaten nicht geantwortet. Wäre die Kommission konsequent gegen die Rechtsverletzungen bei Finanzkriminalität vorgegangen, wäre das alles vielleicht nicht passiert.

Die EU-Kommission war also bisher zu nachsichtig mit Malta?

Ja. Die Kommission hätte ja nicht einmal arbeiten müssen. Sie hätte nur den Blog Caruana Galizias lesen müssen. Es ist jedoch nachvollziehbar, dass Brüssel nicht viel unternimmt. Die Task-Force Financial Crime dort war bis vor kurzem nur mit fünf Personen besetzt.

Glauben Sie, dass Brüssel jetzt in Malta die Zügel anzieht?

Ich erwarte, dass die Kommission endlich die Geldwäscherichtlinie durchsetzt. Und zwar nicht nur in Malta, sondern europaweit.

Maltas Regierungschef Joseph Muscat hat versprochen, den Mord mit aller Konsequenz aufzuklären.

Mit seinen martialischen Worten lenkt Muscat von der Kultur der Straflosigkeit ab. Ich nehme ihn erst dann ernst, wenn er anfängt, die Korruption aufzuklären, auf die Caruana Galizia hingewiesen hatte. Das ist für mich der Massstab, ob sich in Malta etwas ändert.

Im Juni wählten Maltas Bürger die Regierung wieder, obwohl sie unter Korruptionsverdacht stand. Ist das den Wählern egal?

Ja, und auch das ist nachvollziehbar. Wenn ein Sektor erst einmal mächtig wird, entwickelt sich eine Kultur des Wegschauens. Das gilt nicht nur für den Finanzsektor auf Malta. Die Leute sagen: Uns geht es gut, die Dinge funktionieren, auch mit einem gewissen Mass an politischer Korrumpiertheit. Interview: Matthias Knecht


Mehr von Patricia Arnold