nzzas.ch

Bei Marcia Hafif beginnen Farben zu vibrieren


Marcia Hafif gilt als Begründerin einer radikalen Malerei in den 1970er Jahren. Zwei Ausstellungen in Baselland und St.Gallen zeigen ihre Aktualität.

Gerhard Mack 4 min
Drucken
Marcia Hafif: «Table of Pigments», 1991, im Kunstmuseum St. Gallen. (Bild: Mark Mosmann)

Marcia Hafif: «Table of Pigments», 1991, im Kunstmuseum St. Gallen. (Bild: Mark Mosmann)

Als Erstes sehen wir rot. Eine Stellwand versperrt den Blick in den Raum. Auf ihr schiebt sich uns ein quadratisches Gemälde entgegen, als sollte es uns davon abhalten, die Ausstellung im Kunstmuseum St. Gallen zu betreten. Es ist eher klein und zart; zugleich hat es aber die Kraft eines Faustschlags. Die rote Farbe ist stumpf und leicht schmutzig, als hätte sie den Staub eines Box-Schuppens aufgesogen, und wirkt zugleich so weich wie gepudert.

Das Bild gehört zu einer Werkgruppe, welche Marcia Hafif als «Shade Paintings» bezeichnet, weil sie den Farben jeweils etwas Schwarz beigemischt hat, um zu sehen, wie sie sich dabei verändern. Erst auf den zweiten Blick nimmt man aus den Augenwinkeln die Blaus, das Violett und das Orange wahr, die sich seitlich davon in Gruppen erstrecken. Jede Farbe erhält eine Tafel, jedes Bild wirkt für sich wie eine Ikone und fügt sich gleichwohl in ein Zusammenspiel von Tönen, als wäre es ein Tupfer auf einer riesigen Palette, die die Malerin ausbreitet.

Zwischen Los Angeles und New York

«Ich arbeite mit Farbe, ich bemale meine Leinwände, aber ich bin keine Malerin», gab Marcia Hafif vor geraumer Zeit kund. Die 88-jährige Künstlerin zählt zu einer Generation, die auf die Krise der Malerei in den 1970er Jahren reagierte, indem sie deren Komponenten einer systematischen Recherche unterzog. 1929 in Pomona geboren, wuchs sie in Südkalifornien auf, sah in einer Galerie in Los Angeles Stillleben von Giorgio Morandi und war von ihren Variationen so fasziniert, dass sie nach Italien ging. 1969 kehrte sie zurück nach Los Angeles, 1971 zog sie nach New York. Seither verbindet sie die Kunst der West- und Ostküste der USA.

Als Studentin an der University of California in Irvine setzte sie sich mit Fotografie und Film auseinander, in New York fand sie ein breiteres Interesse an Malerei und übertrug die Erfahrung der neuen Medien, insbesondere die Bewegung, in ihre Erforschung des Bildes, in die Arbeit mit Serien und auf die Raumwirkung ihrer Installationen der einzelnen Tafeln.


Marcia Hafif

Marcia Hafif, New York, 2015.

Marcia Hafif, New York, 2015.

Die Künstlerin wurde 1929 im südkalifornischen Pomona geboren, arbeitete in den 1950-er Jahren als Lehrerin und studierte Malerei und Kunstgeschichte. In der Ferus-Galerie in Los Angeles sah sie Bilder von Giorgio Morandi und ging daraufhin 1961 nach Italien. Mit ihrem kleinen Sohn kehrte sie 1969 nach Los Angeles zurück, setzte sich mit der neuen Kunst der Westküste auseinander und zog nach New York, um Malerei zu erforschen. Mit der Ausstellung «Radical Painting» wurde ihre Arbeit als eine der zentralen Positionen einer neuen monochromen Malerei sichtbar. Heute pendelt Marcia Hafif zwischen West- und Ostküste und gilt als eine der wichtigsten zeitgenössischen Malerinnen. (gm.)


«Beginning again» lautet der Titel eines Aufsatzes, mit dem sie 1978 die Situation der Malerei in den siebziger Jahren auf den Punkt brachte. «Radical Painting», eine Ausstellung, die 1984 eine Reihe von Positionen zusammenbrachte, wurde zur Bezeichnung einer neuen Malerei, die Marcia Hafif an erster Stelle geprägt hat. Sie war monochrom, experimentell, vom Rahmen bis zum Pigment am Material und an der Herstellung eines Bildes orientiert. Hafif konzentrierte sich dabei auf die Farbe.

Vorbild für junge Künstler

Das Glück will es, dass jetzt gleich zwei Ausstellungen einen Überblick über das Werk der Amerikanerin geben. Das Kunsthaus Baselland und das Kunstmuseum St. Gallen zeigen beide mit grosser Konsequenz radikale Positionen der Malerei und sehen in Marcia Hafif eine der historischen Referenzen für junge Künstler. In Muttenz sind neben Malerei auch Videoarbeiten und Fotoserien zu sehen. St. Gallen beeindruckt mit Zeichnungen von 1972 und der Serie «An Extended Grey Scale» mit 106 Tafeln aus feinen Abstufungen von Weiss bis Schwarz, die im Oberlichtsaal einen unvergesslichen Auftritt haben.

Vor allem machen die beiden Ausstellungsorte aber deutlich, welche Rolle das Licht für die Entfaltung der Farbe spielt. Das Kunsthaus Baselland logiert in einem Industriebau. Das Licht macht an einem sonnigen Tag das Weiss der Wände hart, die Gemälde heben sich davon ab wie Motive. Das Kunstmuseum St.Gallen ist ein klassischer Bau, der mit Sockelleisten und Parkettboden bürgerliche Wohnlichkeit ausstrahlt. Die Bilder verbinden sich mehr mit dieser Umgebung, die Farben wirken weicher.

Besonders sichtbar wird der Unterschied bei der bekanntesten Werkgruppe der Künstlerin, den «Black Paintings». Marcia Hafif wollte 1979 mit der Farbe Schwarz experimentieren und erinnerte sich an den Tipp eines Lehrers, das schönste Schwarz entstehe durch eine Mischung aus Ultramarinblau und gebrannter Umbra. Sie tauchte den Pinsel immer in beide Farben.

Magie der Bilder

Wenn im Kunsthaus Baselland die Sonne durch die Shedfenster strahlt, leuchtet das Blau unter dem Erdton hervor, die Schichten der Malerei geraten in Bewegung, treten auseinander und verbinden sich wieder. Schieben sich Wolken vor die Sonne, sinkt die Malfläche in sich zurück, als würde sie verstummen. Im milden Raumlicht des Kunstmuseums St. Gallen bleiben die Oberflächen länger dunkel. Betrachter müssen sich Zeit geben, bevor sie die Vibration der Farben wahrnehmen können, die die Pinselbewegung der Malerin in eine Bewegung aus Lichtreflexen übersetzen.

Angesichts der experimentellen Stringenz dieses Werks ist es erstaunlich, welche Kraft die Bilder auf Betrachter ausüben können. Wer sie anschaut, wer vor ihnen verweilt und zwischen ihnen herumgeht, ihre Interaktion und Energie auf sich wirken lässt, kann nicht anders, als ruhig zu werden und einen Klang zu empfinden. Die Welt wird still und singt.

Marcia Hafif: Kunsthaus Baselland, Muttenz, bis 12. 11., Kunstmuseum St. Gallen, bis 14. 1.2018. Katalog: Verlag für moderne Kunst.

Mehr von Gerhard Mack