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Das Kino liebt den Terror

Europäische Filme wie «Nocturama» betonen die Sinnlosigkeit von Terrorismus. Hollywood hingegen glorifiziert ihn unfreiwillig.

Denise Bucher 5 min
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Links: Sie glauben, mit Bomben die Welt zu verändern: Jugendliche Attentäter aus «Nocturama» von Bertrand Bonello. Rechts: Szene aus «The Hurt Locker» von Kathryn Bigelow.

Links: Sie glauben, mit Bomben die Welt zu verändern: Jugendliche Attentäter aus «Nocturama» von Bertrand Bonello. Rechts: Szene aus «The Hurt Locker» von Kathryn Bigelow.

«Es muss endlich etwas geschehen!» Das finden die zehn Jugendlichen, die koordinierte Anschläge auf mehrere Gebäude in Paris planen. Die Protagonisten aus dem Drama «Nocturama» sind verschiedenster sozialer Herkunft und Hautfarbe; was sie verbindet, ist Orientierungs- und Perspektivelosigkeit und eine unbestimmte Wut auf die Gesellschaft ihrer Eltern und Grosseltern.

Warum etwas geschehen muss, erklärt Bertrand Bonello, der Drehbuchautor und Regisseur, nicht weiter. Gerade weil er das nicht tut, einen mit Deutungen im Stich lässt, ist sein Film so erschütternd. In der Schweiz fand «Nocturama» nie einen Verleiher, jetzt läuft er zum Glück auf Netflix.

So vage die Beweggründe für das Attentat sind, so skizzenhaft bleiben die Figuren. Bonello zeigt bloss, was sie tun: In der Eröffnungssequenz sieht man sie unterwegs in der Metro. Sie holen hier etwas ab, deponieren dort etwas, wenn sie aufeinandertreffen, sprechen sie kaum.

Das Geschehen folgt einer präzisen Choreografie, die sich über das Zentrum der Stadt erstreckt. Der zweite Teil des Films spielt in einem Warenhaus, wo die Attentäter sich nach vollbrachter Tat verschanzen.

Die Zeit, die davor raste, steht jetzt still. Drohende Langeweile lässt sich in einem Luxuskaufhaus leicht vertreiben; schwieriger ist es, nicht Anteil nehmen zu können an dem, was draussen geschieht. Ihre Handys haben keinen Empfang, kein Geräusch dringt zu den Jugendlichen herein.

Alles, was sie haben, sind Nachrichtenbilder auf stummen Fernsehschirmen – eine Anspielung auf das symbiotische Verhältnis von Massenmedien und Terror.

Die Jugendlichen triumphieren, feiern, spielen. Als sich abzeichnet, dass sie einen Fehler gemacht haben könnten, wird das Paradies zum Gefängnis, und man selbst ist mittendrin: Weil Bonello nie von aussen auf die Gruppe blickt, weiss man immer nur so viel wie diese.

So macht er einen zur Komplizin, entziehen kann man sich dem nicht. Und am Ende muss man sich eingestehen, dass man sich mit Attentätern identifiziert hat.

Das ist umso schlimmer, als die Fiktion mittlerweile von der Realität eingeholt wurde – der Film war in Postproduktion, als die Anschläge vom 13. November 2015 in Paris passierten.

«Nocturama» wirkt wie ein Kommentar zu einem der drängendsten Themen der Gegenwart, ohne aber Schuldige zu benennen. Das Drama tut stattdessen etwas Wichtigeres: Es führt mit kühler Zurückhaltung die Sinnlosigkeit von Terror vor Augen.

Diese Filme beleuchten das widersprüchliche Wesen von Fanatikern, ihre inneren Kämpfe, die Unausweichlichkeit ihres Scheiterns.

Es erzählt von der naiven Arroganz von Attentätern, die sich aus Mangel an Alternativen in eine Wut auf einen vermeintlichen Feind hineinsteigern, die sich für Revolutionäre halten, die glauben, im Alleingang ein System stürzen zu können. Aber in Wahrheit sind sie Verlierer. Die letzten Worte, die in «Nocturama» gesprochen werden, sind: «Aidez-moi.»

«Nocturama» ist das jüngste und vorläufig beste Beispiel aus einer Reihe von Terror-Filmen. Wobei auffällt, dass Filme aus Europa und dem Nahen Osten ein vielfältigeres und reflektierteres Bild von Terrorismus zeichnen als US-Produktionen.

Das französische Drama «Le ciel attendra» (2016) erzählt anhand von zwei jungen Französinnen, wie perfide der IS bei der Rekrutierung via Social Media vorgeht.

In «Made in France» (2015) schleust sich ein französischer Journalist in eine Islamistenzelle ein, um sie von innen heraus zu zerstören.

In der britischen Komödie «Four Lions» (2010) scheitern trottelige Jihadisten schon bei den Vorbereitungen auf den Heiligen Krieg.

Das palästinensische Drama «Paradise Now» (2005) handelt von bald verzweifelnden, bald sich selbst belügenden Selbstmordattentätern.

Von ähnlicher Hybris und Arroganz wie die Jugendlichen aus «Nocturama» sind auch die jungen RAF-Terroristen im deutschen Drama «Der Baader Meinhof Complex» (2005).

Was allen diesen Filmen gemeinsam ist: Sie beleuchten das widersprüchliche Wesen von Fanatisierten, ihre inneren Kämpfe und die Unausweichlichkeit ihres Scheiterns, die ihnen durchaus bewusst ist.

Terror-Filme aus Hollywood hingegen handeln meist von Siegern und haben oft einen patriotischen Unterton. Im Zentrum steht der heimatliche Held, der gegen gesichtslose und klischierte «böse Araber» ins Feld zieht, um sein Land vor diesen zu beschützen.

Es ist, als ob die Filmindustrie des 21. Jahrhunderts die Politiker unterstützen und der seit den Anschlägen vom ­11. September 2001 nachhaltig verunsicherten und verängstigten Nation sagen wollte: Wir können sie schlagen! Doch wer sich so ausdauernd seiner Stärke versichern muss, gesteht damit auch Angst ein. Und Angst ist das, was Terroristen verbreiten wollen.

Das funktioniert umso besser, je zuverlässiger Massenmedien Bilder von ihnen als grausame und unberechenbare Bedrohung verbreiten. Das können Social-Media-Kanäle sein, wo nach Anschlägen Augenzeugenberichte millionenfach geteilt werden und weltumspannend Solidarität bekundet wird.

Aber genauso gut eignet sich das Unterhaltungskino. So gesehen, dienen Thriller und Dramen wie beispielsweise die oscargekrönten «The Hurt Locker» (2009) über Bombenentschärfer im Irakkrieg, «Zero Dark Thirty» (2012) über die Jagd nach bin Ladin und «American Sniper» (2014), der die wahre Geschichte eines talentierten Scharfschützen erzählt, der Verbreitung der Botschaft der Feinde, die im Film bekämpft werden.

Auf der Leinwand werden sie zwar besiegt, aber in der Realität gewinnen sie mit jedem Film ein wenig an Kraft, der ihre Grausamkeit von neuem in Erinnerung ruft.

Hollywood meidet Komplexität

Warum gibt es im US-Kino so wenig differenzierte Auseinandersetzung mit dem ­Terrorismus?

Der deutsche Terrorismus­forscher und Filmwissenschafter Bernd Zywietz vermutet in seiner Untersuchung «Terrorismus im Spielfilm», dass sich in Hollywood unter anderem deswegen «kein kritisch-engagiertes Kino in der Dimension der zweiten deutschen RAF-Film-Phase mit vor allem ‹Die verlorene Ehre der Katharina Blum›» herausgebildet habe, weil «die ­Bedrohung durch den Jihadismus eine reale Gefahr darstellt» und man sich «seit 9/11 also in einem realen Kriegszustand befindet».

Die USA mögen dem Terror gegenüber schlicht weniger ­tolerant sein, vermutet er. Während der Linksterrorismus beispielsweise ein Thema gewesen sei, das die Gesellschaft Europas gespalten habe, stehe man in Amerika dem kulturell fremdartigeren Jihadismus anders gegenüber – geschlossen ablehnend.

Stacy Takacs, Professorin für Filmwissenschaft an der Universität Tulsa, Oklahoma, verweist auf die Kraft der Tradition: «Die US-Gesellschaft ist chauvinistisch. Wir haben eine Filmtradition, die einzelne Helden feiert, und zwar, indem man dazu auf einfache Erzählstrukturen setzt: Hier sind die Guten, also wir, dort sind die Bösen, also die anderen.» So werde im Hollywoodfilm Komplexität gemieden, sagt sie, «ganz im Gegenteil zum europäischen Kino».

Wenn sich die Jugendlichen aus «Nocturama», dieses im Warenhaus verschanzte Kollektiv, immer wieder vor den Fernsehbildschirmen einfinden, um besorgt nachzusehen, ob ihre Botschaft in der Welt ­angekommen sei, fragt man sich, ob sie
überhaupt wissen, was ihre Botschaft denn eigentlich gewesen ist. Auch weil sich statt des Triumphs mehr und mehr ein Gefühl der Sinnlosigkeit breitmacht.

So, als Verlierer, will sich kein Terrorist im Kino dargestellt wissen.

«Nocturama» läuft auf Netflix, «Le ciel attendra» auf Google Play.