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Dieser Nobelpreis geht an die ganze Romandie

Der Nobelpreis für Chemie 2017 ehrt nicht nur Jacques Dubochet, sondern auch die Entwicklung der Genferseeregion.

Patrick Aebischer (Gastkolumnist) 3 min
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Mit dem Herbst kommt die Saison der Nobelpreise. Schon Anfang September macht die Presse jeweils Prognosen über allfällige Schweizer Anwärter auf diese höchste wissenschaftliche Auszeichnung. Unser Land ist schliesslich stolz auf seine rund dreissig Preisträger – mehrheitlich aus Physik, Chemie und Medizin – seit der Einrichtung des Nobelpreises im Jahre 1901.

Doch nach der Verleihung des Nobelpreises für Chemie an Kurt Wüthrich im Jahre 2002 wurde es still um die Schweiz. Haben wir den Anschluss verloren? Dann, am 4. Oktober, erfolgt die grosse Überraschung – der Nobelpreis für Chemie 2017 geht an Jacques Dubochet, an einen waschechten Waadtländer, sowie an seine zwei amerikanischen und englischen Kollegen, für ihre Entdeckung der Kryo-Elektronenmikroskopie, einer neuen Technik, die das Leben in einer bis jetzt nie dagewesenen Weise sichtbar macht.

Diese Nachricht ist aus mehreren Gründen erfreulich. Jacques Dubochet ist der perfekte Botschafter der Schweizer Wissenschaft. Der Nobelpreis ist hausgemacht. Dubochet hat an der Ecole polytechnique de l’Université de Lausanne, der Vorgängerin der EPFL (Ecole polytechnique fédérale de Lausanne), Physik studiert. Seine Doktorarbeit in Biophysik schrieb er an der Universität Genf, und den Grossteil seiner akademischen Laufbahn verbrachte er an der biologischen Fakultät der Universität Lausanne. Der grösste Dank gebührt somit seiner Alma Mater, die ihn jahrzehntelang beherbergt und finanziell unterstützt hat.

Eine ehrgeizige und
erfolgreiche Westschweiz tut unserem Land gut.

Dank gebührt jedoch auch dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF), der die Schweizer Grundlagenforschung – und somit auch Jacques Dubochet – seit über 60 Jahren unterstützt. Ohne diese Förderung wäre die Schweiz in Sachen Innovationsfähigkeit in den internationalen Ranglisten sicherlich nicht so gut vertreten.

Erfreulich ist natürlich auch, dass die amtierende Bundespräsidentin, mehrere Bundesräte sowie verschiedene prominente Politiker dem Preisträger unverzüglich gratuliert haben. Auch wenn diese Gratulationsbotschaften in einem gewissen Widerspruch zu den jüngsten Anträgen der eidgenössischen Finanzverwaltung zu stehen schienen, welche die Forschungsbudgets kürzen wollen. Man kann nur hoffen, dass die eidgenössischen Parlamentarier diese Anträge ablehnen.

Die Förderung der Grundlagenforschung und der Bildung ist nicht nur eine hoheitliche Aufgabe des Bundes, sie ist einer der Schlüssel zum Schweizer Wohlstand.

Ein weiterer Grund zur Freude über den Nobelpreis liegt in der Person von Jacques Dubochet, der seine Liebe zur Wissenschaft mit viel Enthusiasmus propagiert. Sein Lebenslauf liest sich wie eine Anthologie der Wissenschaft. Er bezeichnet sich selbst als «ersten offiziell registrierten Legastheniker im Kanton Waadt». Das habe ihm ermöglicht, «bei allem schlecht zu sein und Menschen in Schwierigkeiten zu verstehen». Am Abend der Ankündigung seines Preises nahm er, als sei nichts geschehen, an einer Sitzung des Gemeindeparlaments in Morges teil. Dubochet verkörpert eine grosszügige und engagierte Wissenschaft.

Darüber hinaus ist der Nobelpreis für die Genferseeregion das Tüpfelchen auf dem i ihrer jüngsten akademischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Die Romands emanzipieren sich und wollen beweisen, dass sie nicht «die Griechen der Schweiz» («Weltwoche») sind.

Mit grosser Freude habe ich die Rektorin der Universität Lausanne am Tag der Nobelpreisankündigung sagen gehört, sie hoffe, es werde nicht bei diesem einen Nobelpreis für ihre Uni bleiben. Eine ehrgeizige und erfolgreiche Westschweiz tut unserem Land gut. Herzlichen Dank für Ihren Beitrag, Jacques Dubochet!

Patrick Aebischer war Präsident der ETH in Lausanne. Übersetzung: Maria Neversil.