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ETH hat Hinweise ignoriert

Nach dem Auffliegen des Mobbing-Falls am Institut für Astronomie zeigt sich: Schon vor Jahren gab es Anzeichen für Ausbeutung von Doktoranden an der ETH.

René Donzé 6 min
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Die Ombudsstelle hat letztes Jahr über 100 Personen beraten: Flugaufnahme der ETH Hönggerberg. (Bild: Urs Hubacher / Keystone)

Die Ombudsstelle hat letztes Jahr über 100 Personen beraten: Flugaufnahme der ETH Hönggerberg. (Bild: Urs Hubacher / Keystone)

Die Rede ist von Mobbing, Angst, Tränen und psychischen Zusammenbrüchen. Die Vorfälle am ehemaligen Institut für Astronomie der ETH Zürich, welche diese Zeitung letzten Sonntag publik machte, lösten Betroffenheit aus. Die Enthüllungen führten zu einer breiten Diskussion über die Zustände an Universitäten und ETH in der Schweiz. In der Folge leitete die ETH-Schulleitung diese Woche eine Administrativuntersuchung ein, um die Vorfälle genauer zu untersuchen.

Dass es zu einem solchen Fall kommen konnte, erstaunt Kenner der Hochschulen, wie etwa den langjährigen ETH-Präsidenten Olaf Kübler, nicht. «Professoren wie alle Forscher weltweit stehen unter einem riesigen Erfolgsdruck», sagt der emeritierte Professor, der von 1997 bis 2005 die ETH Zürich leitete. «Leider passiert es immer wieder, dass einige von ihnen ihre Doktoranden und Postdocs vor sich hertreiben wie Sklaven.» Diese müssten sehr viel arbeiten für einen kleinen Lohn und mit ungewissen Zukunftsaussichten. «Fehlbehandlungen sind zwar selten, passieren aber an der ETH wie an allen anderen Universitäten auf dieser Welt auch.»

Der Umgang einzelner Professoren mit ihren Doktorierenden sei schon immer ein Thema gewesen, sagt Kübler. Auch er wurde damals als ETH-Präsident auf das Thema hingewiesen. «Die Situation von Doktorierenden beschäftigt mich, seit vor vielen Jahren Katharina von Salis, die damalige Ombudsfrau, in einem Gespräch einfliessen liess, es gebe trotz der generell sehr guten Kultur auch an der ETH Orte, wo die Doktorierenden ausgebeutet würden», schreibt der emeritierte Professor in einer E-Mail, das er auszugsweise dieser Zeitung zugestellt hat.

«Sie stellte es nicht als akute, sondern nur als latente Gefahr dar. Einen Grund zum Eingreifen gab es nicht», schreibt Kübler weiter. Pikanterweise gab es schon zum Ende seiner Amtszeit als Schulleiter Probleme am Institut für Astronomie. Ein Postdoktorand wurde entlassen, der sich in einem Konflikt mit der Professorin auf die Seite der Doktoranden gestellt hatte und auch die Ombudsstelle anrief.

Bei der Professorin am nun aufgelösten Institut für Astronomie gab etwa jeder dritte Doktorand auf.

Dass es an der ETH immer wieder zu Konflikten kommt, zeigen auch die jüngeren Jahresberichte der derzeitigen Ombudspersonen Maryvonne Landolt und Wilfred F. van Gunsteren. 2016 beriet die Stelle 108 Personen, davon 42 Doktorierende. «Eine Lösung solcher Probleme ist schwierig, wenn der Doktorvater oder die Doktormutter ein grösseres Interesse an der eigenen Laufbahn als an der wissenschaftlichen Bildung des Doktorierenden zeigt», steht im Bericht.

Die Ombudsleute werfen auch die Frage auf, was zu tun sei, wenn Professoren «Mitarbeiter anschreien oder gröblich beleidigen». In «wenigen Fällen» sei das vorgekommen, sagt van Gunsteren. Er bestätigt auch einen Fall, in dem ein Doktorvater seine Zustimmung zur Einreichung einer Doktorarbeit mit Doktorats-fremden Bedingungen verknüpfte. Er relativiert aber auch: 100 Ratsuchende auf über 10 000 Angestellte seien weniger als ein Prozent.

ETH-Präsident Lino Guzzella betont, dass das Verhältnis zwischen Doktorierenden und Professoren in den allermeisten Fällen gut funktioniere. Das zeige auch die international vergleichsweise tiefe Abbruchquote von 14 Prozent. Zum Vergleich: Bei der Professorin am nun aufgelösten Institut für Astronomie gab etwa jeder dritte Doktorand auf. «Wir kennen das Problem der Abhängigkeiten im Wissenschaftsbetrieb und nehmen dieses sehr ernst», sagt Guzzella.

Als Gegenmassnahmen nennt er Doppelbetreuung von Doktoranden und Mentoring für Assistenzprofessoren. «Zukünftig wollen wir auch gezielt die Führungskompetenz der anderen Professoren stärken, zum Beispiel durch Coaching», sagt er. Ebenfalls werde intern eine Initiative diskutiert, die etwas mehr und kleinere Professuren beinhalte. Dies würde zur Verbesserung des Betreuungsverhältnisses führen.

Der Fall ETH hat inzwischen auch die Politik erreicht. Die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats liess sich vom ETH-Ratspräsidenten über den Fall am Astronomischen Institut informieren, sagt deren Präsident Hans Stöckli (sp.). Die zuständige Subkommission werde an ihrer nächsten Sitzung über das weitere Vorgehen entscheiden. «Ich gehe davon aus, dass sie den ETH-Ratspräsidenten zu einer Anhörung einladen wird.» Danach werde entschieden, ob weitere Untersuchungen nötig sein werden.

Auch Bildungspolitiker aus National- und Ständerat beobachten die Vorfälle in Zürich und deren Aufarbeitung. Je nachdem würden weitere Massnahmen nötig, um die Situation von Doktorierenden generell zu verbessern, sagt Brigitte Häberli (cvp.): «Dazu braucht es eine Diskussion in der Kommission und die Besprechung des weiteren Vorgehens.»


Michael Hengartner: Der 51-jährige Rektor der Universität Zürich ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Swissuniversities.

Michael Hengartner: Der 51-jährige Rektor der Universität Zürich ist Präsident der Hochschulrektorenkonferenz Swissuniversities.

Sind Professoren allmächtig gegenüber ihren Mitarbeitern?

Es gibt überall ein Machtgefälle zwischen Vorgesetzten und Angestellten. Doch für den akademischen Nachwuchs sind die Abhängigkeiten viel grösser als in der Wirtschaft.

Warum?

Doktorierende und Postdocs sind sehr verletzlich, weil ihr Projekt und ihre Karriere stark von der Expertise des Professors abhängen. Sie können also nicht einfach den Arbeitgeber wechseln, wenn es ihnen nicht passt. Oft kommen sie auch aus dem Ausland, sind nur kurz da, können sich nicht auf ein Netzwerk abstützen.

Unis und Professoren stehen unter Publikationsdruck. Verschärft dies das Problem?

Der Wettbewerb ist sicher stärker geworden, doch das darf nicht auf die Mitarbeitenden durchschlagen. Der Output wird nicht verbessert, indem man seine Mitarbeitenden schlecht behandelt. Darunter leidet auch die Reputation des Professors. Auf die Länge wollen dann kaum noch gute Forscher mit ihm zusammenarbeiten.

Und doch kommt es zu Übergriffen. Wie kann man die Doktoranden schützen?

Es ist wichtig, dass es niederschwellige Anlaufstellen gibt, die Betroffene unterstützen. Diesbezüglich haben die Hochschulen Fortschritte gemacht. Es ist auch wichtig, zu sehen, dass weitaus die meisten Professoren wohlwollende Betreuer sind.

Verschiedene Stimmen fordern statt Einzelbetreuung sogenannte Graduate Schools.

Diese sind eine gute Sache. Es gibt heute schon Graduate Schools und Doktorats-Programme an Schweizer Hochschulen. Dort werden Doktorierende zusammengefasst, und das akademische Mentoring erfolgt durch mehrere Personen. Swissuniversities hat bereits in den letzten Jahren solche Projekte unterstützt. Auf diesem Weg müssen wir fortschreiten. Es ist mein Ziel, dass die Zahl der Doktorats-Programme weiter wächst. (Interview: René Donzé)



Die umstrittene Astronomie-Professorin an der ETH befasst sich vor allem damit, wie sich Galaxien formen und verändern, wie sie Sterne gebären. Die Daten, die sie und ihre Mitarbeiter analysieren, stammen aus grossen Himmelsdurchmusterungen, systematischen Beobachtungen des Himmels. Millionen Galaxien, Nebel und andere Objekte lassen sich dabei entdecken wie Nadeln im Heuhaufen.

Doch die Professorin will die Nadeln nicht nur finden. Sie will über ihre Beschaffenheit so viele Details herausbekommen wie möglich. Mit dem Wissen, das Astrophysiker wie sie schaffen, wird Stück für Stück unser Bild des Weltalls ein wenig schärfer.

Bekannt ist die Professorin vor allem aufgrund ihrer Forschung zu den Spiralgalaxien, wie sie auch die Milchstrasse eine ist. Diese Galaxien sind scheibenförmig und besitzen neben einer zentralen Verdickung mehrere spiralförmige Arme. Da sie relativ viel Gas aufweisen, können dort permanent neue Sterne entstehen.

Ihre Veröffentlichung dazu aus dem Jahr 1998 wurde mehrere Hundert Male zitiert. Eine durchaus stolze Zahl für die damals junge Astronomin. Ihre Vita ist die einer ambitionierten und erfolgreichen Wissenschafterin. Sie promovierte an einer der renommiertesten Universitäten Deutschlands, arbeitete an einem bekannten astronomischen Institut in Westeuropa. 1998 erhielt sie ein Stipendium, mit dem sie an einer angesehenen US-Universität Daten des Weltraumteleskops Hubble analysieren konnte.

Die einflussreichsten Arbeiten, an denen sie beteiligt war, stammen laut der Website Google Scholar aus ihrer Zeit an der ETH Zürich. Einige davon hat sie gemeinsam mit ihrem Mann publiziert. Dieser war an die ETH berufen worden, um das Institut für Astronomie auszubauen. Er hat eine noch steilere Karriere als seine Frau auszuweisen.

Seine frühen Arbeiten hatten die erste überzeugende Messung der Geschichte der Sternentstehung geliefert. In den 1990er Jahren war es ihm gelungen, eine Methode zu entwickeln, mit der er einige der am weitesten entfernten Galaxien entdecken und vermessen konnte. Zusammen mit Kollegen konnte er damit auch die Rate abschätzen, mit der neue Sterne entstehen. Diese war vor sieben Milliarden Jahren etwa zehnmal höher als heute. Warum das so ist, ist heute eine zentrale Frage in Astrophysik und Kosmologie.

Nach der massiven Kritik am Umgang der Professorin mit ihren Doktoranden und Postdocs, die zur Auflösung des Astronomie-Instituts geführt haben, melden sich auch Personen zu Wort, die ihre Leistungen würdigen. Es sei ungerecht, den Eindruck zu erwecken, sie sei nur wegen der Anstellung ihres Ehemanns zu einer Professur an der ETH gekommen. (Philipp Hummel)