nzzas.ch

Erich Vogel: «Murat Yakin ist ein Wolf im Schafspelz»

Die Grasshoppers sind unter Murat Yakin in wenigen Wochen ein Erfolgsteam geworden. Der frühere Fussballmanager Erich Vogel erklärt die Yakin-Formel.

Flurin Clalüna 6 min
Drucken
«Wenn andere verzweifeln, regt er sich nicht einmal auf»: Murat Yakin. (Zürich, 19. 11. 2017) (Bild: Gonzalo Garcia / EQ Images)

«Wenn andere verzweifeln, regt er sich nicht einmal auf»: Murat Yakin. (Zürich, 19. 11. 2017) (Bild: Gonzalo Garcia / EQ Images)

NZZ am Sonntag: Erich Vogel, Sie sagten im Jahr 2011, Murat Yakin sei mit Abstand der beste Trainer in der Schweiz. Er war damals in Luzern. Was ist er heute?

Erich Vogel: Vor sechs Jahren war das eine gewagte Voraussage. Doch in den vergangenen Jahren hat Murat Yakin dies eindrücklich bewiesen. Früher oder später wird ihn ein ausländischer Topverein engagieren, so wie das bei Ottmar Hitzfeld, Christian Gross, Lucien Favre und René Weiler geschehen ist.

Yakin hat GC in wenigen Wochen vom Tabellenende weggeführt. Schon in Schaffhausen hat er aus einer mittelmässigen Mannschaft ein Spitzenteam geformt. Wie macht er das?

Yakin macht jede Mannschaft besser. Er will Harmonie in seinen Teams. Er respektiert die Spieler. Er lässt ihnen Freiraum. Ob sie ein Birchermüesli oder Spinat essen, ist ihm gleich. Und auch wenn jemand einmal im Ausgang ist: Das schockiert ihn nicht. Kontrollen kennt er nicht. Aber auf dem Platz verlangt er Disziplin. Wenn sich jemand ­wiederholt nicht an seine Anweisungen hält, kann er zur diabolischen Furie werden und sich wenig einfühlsam zeigen.


Erich Vogel

Erich Vogel, 78, war viele Jahre Sportchef der Grasshoppers. In den neun­ziger Jahren prägte er eine der erfolgreichsten Zeiten des Klubs. Mit GC gewann er fünf Meistertitel und viermal den Cup. Zweimal gelang der Einzug in die Champions League. Von 2007 bis 2009 war er GC-Vizepräsident. Heute steht Vogel den GC-Geldgebern Heinz Spross und Peter Stüber nahe.


Aber wenn es um das Privatleben geht, ist er grosszügig. Macht es das aus?

Die heutige Trainergeneration findet alles wichtig: Vorbereitung, Essen, Schlafen. Das hat durchaus eine Berechtigung, aber es wird überschätzt. Yakin spricht mit den Spielern resultatorientiert. Er greift nicht in ihr Leben ein. Das hat er selber nie akzeptiert. Er ist früher aus dem Rahmen gefallen, darunter hat er gelitten. Und er will seine Spieler nicht leiden lassen für Dinge, die ihm nicht so wichtig sind. Man muss den Spieler Yakin kennen, um den Trainer Yakin zu verstehen.

Sie kennen Yakin seit über zwanzig Jahren und haben ihn als Sportchef als 17-Jährigen zu GC geholt. Was war er damals für ein Mensch?

Er war höflich und anständig. In seinem ersten Vertrag verdiente er 1000 Franken pro Monat. Auf mein Anraten hat er seine Lehre aufgegeben. Das war riskant. Auf dem Platz hat er mich nie enttäuscht, er war immer verantwortungsbewusst. Etwas anderes waren die Dinge, die daneben passierten. Da war er, sagen wir: eigenwillig.

Yakin soll einmal zu Ihnen gekommen sein und einen Vorschuss für ein Schiff auf dem Zürichsee verlangt haben. Stimmt das?

Ja, das ist typisch für ihn. Ich habe sehr viel über Menschen von ihm gelernt, weil er diametral anders funktioniert als ich.

Das heisst?

Ich habe mich über ihn aufgeregt, weil er aus sportlicher Sicht nicht immer ein optimales Leben führte. Irgendwann musste ich mir aber eingestehen: Doch, eigentlich hat er recht. Auf dem Platz soll man unnachgiebig sein, daneben grosszügig. Genau das verkörpert er heute als Trainer.

In welcher Beziehung stehen Sie zu Yakin?

Wir haben den Kontakt nie abbrechen lassen. Zuletzt haben wir uns zweimal getroffen: Einen Tag, bevor er bei GC unterschrieben hat, haben wir uns eine Stunde unterhalten. Seither haben wir uns per Zufall einmal auf einem Parkplatz getroffen und geredet. Er hat mit dem neuen GC-Vizepräsidenten Roland Klein den richtigen Mann an seiner Seite. Da braucht es Erich Vogel nicht.

Welche Rolle spielten Sie bei seiner Verpflichtung Ende August?

Ich habe keine Rolle gespielt. Es war die Idee des GC-Präsidenten Stephan Anliker. Es ist allein sein Verdienst, dass er sich gegen alle Widerstände durchgesetzt und den richtigen Trainer geholt hat.

Sie haben Yakin vor elf Jahren zu seiner ersten Stelle als Trainer bei Concordia verholfen.

Damals sagten mir neun von zehn Fachleuten, Yakin sei faul und kein Vorbild. Er könne sich nicht durchsetzen. Man hat ihm alle Qualitäten als Trainer abgesprochen.

Wie führt er eine Mannschaft?

Yakin musste als junger Mann Verantwortung für die Familie übernehmen. Er spürt intuitiv, was Führung ist. Es ist kein intellektueller Zugang. Yakin ist keiner, der Fach­literatur liest. Er diskutiert gern und kann gut zuhören. Er spürt die Menschen. Aber man muss wissen: Er akzeptiert nur wenige Fachleute auf Augenhöhe. Er stellt sich in fussballerischen Angelegenheiten über jeden ­Sportchef. Aber er macht keine Prestigesache daraus. Er unterschreibt problemlos einen Vertrag, in dem steht, er sei diesem oder jenem Manager unterstellt. Aber er weiss, dass er es im Alltag anders leben wird.

Ist er in dieser Hinsicht elitär?

Das Wort elitär ist nicht in seinem Vokabular. Aber ein profundes Wissen über Fussball ist Voraussetzung, dass er jemanden ernst nimmt. Er merkt sofort, wenn jemand sein Niveau nicht erreicht. Yakin ist auch dann nett und lächelt. Er hat die menschliche Qualität, dass er seine Überlegenheit nicht zeigen und niemanden erniedrigen muss.

Wann legt er sich mit seinen Chefs an?

Solange man ihn machen lässt, ist alles in Ordnung. Aber fundamentale Einwände akzeptiert er nicht. Er verlangt totale Unabhängigkeit, weil er auch finanziell unabhängig ist. Er hat auch keine Angst, sich mit den grössten Persönlichkeiten anzulegen.

So nimmt man ihn gar nicht wahr.

Er ist ein Wolf im Schafspelz. In diesen Momenten kommt ein Rebell in ihm zum Vorschein, der er sonst nicht ist. Privat hat er nicht den geringsten Ansatz eines Rebellen. Wenn ihn aber jemand stört beim Versuch, erfolgreich zu sein, ist er äusserst konsequent. Es gibt ein schlagendes Beispiel dafür.

«Yakin stellt sich in fussballerischen Angelegenheiten über jeden Sportchef. Aber er macht keine Prestigesache daraus.»

Welches?

Der Umgang mit seinem Bruder Hakan in Luzern zeigt, dass er dem Erfolg alles unterordnet. Hakan war Spieler unter ihm, und er hat ihn von einem Tag auf den anderen rausgeworfen. Ich fragte Murat, warum er das getan habe. Er sagte, er habe seinen Bruder vor der Mannschaft kritisieren müssen wie alle anderen Spieler auch. Das habe Hakan nicht ertragen. Also ging es nicht mehr zusammen. Jetzt ergänzen sie sich im GC-Trainerteam ausgezeichnet. Aber der alleinige Chef ist Murat.

In Basel sagt man, Yakin sei oft als Letzter gekommen und als Erster wieder gegangen.

Das ist eine Version der Wahrheit. Wer ihn nur oberflächlich kennt, findet Argumente, ihn anzugreifen. Aber wer weiss, wie Yakin arbeitet, wird mit Kritik vorsichtig sein. Es kann vorkommen, dass er bis morgens um fünf ein Spiel des FC Barcelona auseinandernimmt. Er kennt alle Schwächen des Gegners. Aber diese Dinge sieht man von aussen nicht. Yakin nimmt sich Auszeiten, diesbezüglich hat er ein grösseres Bedürfnis als andere. Das kann provozierend wirken. Yakin kann ein schwieriger Trainer sein, weil er ganz andere Wertvorstellungen hat als die meisten seiner Vorgesetzten.

Er wirkt immer so cool. Ist er wirklich so?

Wenn andere verzweifeln, regt er sich nicht einmal auf. Weil er dieses Urvertrauen hat. Aber er ist kein Mönch, der alles gelassen nimmt. Er hat Empfindlichkeiten. Er hat als Kind darunter gelitten, anders zu sein. Wenn man ihn heute darauf anspricht, kann er alles andere als cool reagieren. Aber sonst ist er sehr ruhig. Yakin ist das Gegenteil eines Schnellredners. Er überlegt 10, 15 Sekunden. Aber dann kommt eine präzise Antwort.

Man spricht oft über sein Umfeld. Ist seine Entourage eine Belastung für ihn?

Das empfindet er nicht so. Yakin ist ein treuer Mensch. Wenn jemand zu ihm steht, vergisst er das nicht. Aber für die Klubs konnte sein Umfeld bei einer Verpflichtung ein Hindernis sein. Dafür habe ich ein gewisses Verständnis. Doch mit dieser Unvollkommenheit muss man umgehen. Ich würde Vertreter solcher Klubs fragen: Wollt ihr Erfolg? Wenn ja: Dann ist Yakin der Richtige.

Weitere Themen