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Kickbacks: Der CS und UBS drohen teure Prozesse

Banken müssen ihren Kunden Retrozessionen zurückzahlen, hat das Bundesgericht entschieden. Zwei Firmen wollen nun weitere Urteile erwirken, um diese Rückerstattungs-Ansprüche erheblich auszudehnen.

Markus Städeli 6 min
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Der Paradeplatz, der Inbegriff des Schweizer Vermögensverwaltungsgeschäfts. (Zürich, 4. Oktober 2016, Keystone / Gaëtan Bally)

Der Paradeplatz, der Inbegriff des Schweizer Vermögensverwaltungsgeschäfts. (Zürich, 4. Oktober 2016, Keystone / Gaëtan Bally)

Schweizer Banken führen ein Rückzugsgefecht gegen ihre eigenen Kunden und geben dabei keinen Meter kampflos preis: Denn es geht um Kickbacks in Milliardenhöhe, die sie im Vermögensverwaltungs-Geschäft hinter dem Rücken ihrer Klienten von Produkte-Anbietern kassiert haben.

Diese sogenannten Retrozessionen gehören den Bankkunden und nicht den Banken, entschied das Bundesgericht schon im Oktober 2012. Pensionskassen und Privatkunden können sie deshalb zurückfordern.

Doch die Banken wollten diese nur für die vergangenen fünf Jahre herausgeben. Sie stellten sich auf den Standpunkt, dass ältere Ansprüche bereits verjährt seien. So musste das Bundesgericht ein weiteres Grundsatzurteil fällen.

Am 17. Juni 2017 entschied es über die heftig umstrittene Frage der Verjährung: Die entsprechende Frist betrage zehn Jahre, so das Verdikt aus Lausanne. Das ermöglicht nun vielen Kunden, nochmals Ansprüche gegenüber den Banken geltend zu machen. «Wir fordern die Pensionskassen auf, entsprechende Gesuche zu stellen», sagt Hanspeter Konrad, Direktor des Pensionskassenverbands Asip.

Banken haben geschickt taktiert

Doch vielfach ist der Schaden bereits angerichtet. «Die Banken haben sehr viel Geld gespart mit der Taktik, die Kunden mit der Rückzahlung von Retrozessionen für lediglich fünf Jahre abzuspeisen», sagt Monika Roth, Advokatin und Professorin an der Hochschule Luzern. «Viele Bankkunden, inklusive einige Pensionskassen, haben sich von den Banken überzeugen lassen, darauf einzusteigen.»

Roth hat für ihre Kunden, die sie in Retro-Fragen vertritt, jeweils die Zahlen über zehn Jahre eingefordert. «Mit den Banken konnten wir uns darauf einigen, dass wir eine Rückzahlung über fünf Jahre akzeptieren. Aber mit der Bedingung: Wenn das Bundesgericht auf zehn Jahre entscheidet, müsst ihr uns die Retros der anderen fünf Jahre ebenfalls zurückbezahlen und zwar mit 5% Verzugszinsen.»

«Viele Vermögensverwaltungskunden dürften Ansprüche auf Herausgabe von Retrozessionen, die in den fünf davor liegenden Jahren bezahlt worden waren, verloren haben», glaubt auch Albrecht Langhart, Rechtsanwalt und Partner bei Blum & Grob. Heute seien diese endgültig verjährt.

«Schützen konnten Verjährungsverzichtserklärungen, welche Banken aber nur zurückhaltend abgaben, häufig nur auf Druck von Anwälten», so Grob. Er zeigt aber auch ein gewisses Verständnis für die Haltung der Banken. Sich auf den Standpunkt kürzerer Verjährungsfristen zu berufen, sei «nicht haltlos» gewesen.

Doch vielleicht kommen trotzdem mehr Forderungen auf die Banken zu, als diese heute antizipieren. «Für mich ist klar, dass die Retros den Kunden auch für den Fall gehören, dass sie Beratungsverträge mit der Bank hatten», sagt Roth. Dazu muss man wissen: Das Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2012 bezieht sich auf einen Fall, in dem ein Kunde die UBS mit der Geldverwaltung beauftragt hatte.

Bei Beratungsverträgen hingegen treffen die Kunden ihre Kauf- und Verkaufsentscheide letztlich selber. Es gelte hier wie da Auftragsrecht, argumentiert Roth. «Aber auch dazu braucht es eine Klärung durch das Bundesgericht. Die meisten Banken geben weder die Zahlen heraus, noch wollen sie verhandeln.»

Bundesgericht anrufen

Genau diese Klärung streben zwei Unternehmen an, die sich darauf spezialisiert haben, Retro-Rückforderungsansprüche einzutreiben. Herbert Notz, Chef von Deiure, wettet bereits Geld darauf: «Wir sind uns ziemlich sicher, dass wir vor Bundesgericht recht bekommen. Deshalb kaufen wir auch Rückzahlungsansprüche bei Beratungsverträgen auf», sagt Notz, der kein Anwalt ist, sondern Wirtschaftsdetektiv. Dabei zahle Deiure bis zu 20% des Betrages, den die Bank «immer so schön als Vertriebsentschädigung ausweise».

«Wir werden noch im Herbst einen Fall gegen die Credit Suisse und einen gegen die UBS vor dem Zürcher Handelsgericht anstreben, um das endlich zu klären», sagt Notz. So erspare man sich eine Instanz. «Unsere Anwälte denken, dass wir dann bereits im Frühling 2018 ans Bundesgericht gelangen können.»

Notz hat sich auf ein spezielles Segment spezialisiert. Seine typischen Kunden seien keine Sympathieträger, sondern europäische Steuerhinterzieher, die ins Reine gekommen sind. Sie hätten eigentlich die Möglichkeit, an ihrem Heimatort zu klagen.

Aber der Bäckermeister Müller, den noch immer das schlechte Gewissen plage, wolle auf keinen Fall riskieren, dass seine Schwarzgeldgeschichte bekannt werde. «Die Steuerhinterzieher waren die idealen Kunden für die Banken: Hühner, die gnadenlos gerupft wurden», sagt Notz.

Schon über 100 Kunden

Bis jetzt hätten über 100 Kunden ihre Forderungen an Deiure abgetreten. «Bei jedem dritten haben die Banken nicht nur exzessive Gebühren verrechnet, sondern das Geld auch entgegen den abgemachten Restriktionen angelegt», behauptet Notz, der schon seit 2012 im Geschäft ist. Deshalb sieht er «eine Grundlage für Schadenersatzklagen».

Erst seit Juni dieses Jahres ist die Firma Liti-Link am Markt. «Wir haben aber bereits 25 Mandate», sagt deren Chef, Hubert Schwärzler. Laufend kämen neue Anfragen herein. Dies dank dem jüngsten Bundesgerichtsurteil. Liti-Link strebt ebenfalls nach mehr: «Wir sind der Meinung, dass auch
Retrozessionen bei Beratungsverträgen und reinen Depot-Verträgen den Kunden gehören und wollen jetzt einen Musterprozess führen.»

Die Banken geben sich gelassen. Bei der Credit Suisse etwa betont man, dass sich die Rechtsprechung des Bundesgerichts ausschliesslich auf Kundenbeziehungen mit Vermögensverwaltungsauftrag beziehe und daher auf reine Depotbeziehungen sowie Beratungskunden nicht anwendbar sei.

Fünf Fragen und Antworten zu Retrozessionen

Wie viele Kickbacks sind geflossen?

Es geht um Milliarden. So viel ist sicher, und das wird auch von den Banken nicht in Abrede gestellt. Potenziell sind alle Kunden betroffen, deren Geld in Kollektivanlagen wie Anlagefonds oder strukturierten Produkten verwaltet wird. 2012 - im Jahr, in dem das Bundesgericht seinen Grundsatzentscheid fällte - beliefen sich die Kollektivanlagen bei Schweizer Banken gemäss Nationalbank auf 1440 Mrd. Fr. Pauschale Aussagen sind schwierig: Je nach Anlageklasse waren die Retros verschieden hoch, und die Banken hatten nicht mit allen Anbietern Vertriebsvereinbarungen. Im Schnitt kann man von etwa 0,5% auf dem Anlagevolumen ausgehen - pro Jahr.


Wer kann Geld zurückfordern?

Retrozessionen setzen falsche Anreize. Die Banken sollten den Kunden ihre Dienstleistungen direkt in Rechnung stellen und nicht auch noch indirekt von Produkte-Anbietern entschädigt werden. Allerdings äussert sich das Bundesgericht immer nur zu Einzelfällen. Der Entscheid im Jahr 2012 betraf ein Vermögensverwaltungsmandat - bei dem der Kunde alle Anlageentscheide an die Bank delegiert hatte. Zu anderen Verhältnissen, also zum Beispiel zu den verbreiteten Beratungsverträgen - bei denen die Kunden letztlich selbst entscheiden - hat sich das Gericht nicht geäussert. Die Banken legen diesen Umstand zu ihren Gunsten aus und zeigen hier meist kein Entgegenkommen.


Und was ist mit allen anderen?

Wer sein Geld selber oder in Absprache mit seinem Kundenberater verwaltet, kann sich nur auf den Geist und nicht auf den Buchstaben des Bundesgerichtsurteils von 2012 berufen. Es besteht aber eine Wahrscheinlichkeit, dass das Bundesgericht für andere Vertragsverhältnisse einen vergleichbaren Interessenkonflikt feststellen würde - nämlich bestimmte Anlageprodukte vorzuziehen, auch wenn das nicht im Interesse des Kunden liegt. Wahrscheinlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine gerichtliche Beurteilung erfolgt. Betroffene sollten deshalb von der Bank die entsprechenden Unterlagen einfordern und Massnahmen ergreifen, um die Verjährung zu stoppen.


Achtung Verjährung!

Herausgabeansprüche auf Retros unterliegen einer Verjährungsfrist von zehn Jahren. Diese beginnt für jede einzelne Vergütung an dem Tag zu laufen, an dem die Bank sie erhalten hat. Die meisten Banken begannen, ihre Kunden ab 2013 über Kickbacks zu informieren - und haben sie Verzichtserklärungen unterschreiben lassen. Am ehesten können Betroffene ihre Ansprüche also noch für die Jahre 2008 bis 2012 geltend machen. Falls die Bank zu einem Verzögerungsmanöver ansetzt, sollten die Kunden sofort Massnahmen veranlassen, welche die Verjährung unterbrechen: eine Betreibung, Klage oder eine entsprechende Anerkennung durch die Bank.


Gibt es immer noch Retros?

«Die meisten Banken und Vermögensverwalter haben ihr Geschäftsmodell leider nicht geändert , kassieren ungeachtet der Interessenkonflikte Retrozessionen ein und tun so, wie wenn die Transparenz über deren prozentuale Höhe die Problematik beheben würde.» Dies sagt Monika Roth, eine Expertin auf dem Gebiet. Es gibt aber Bewegung: Bei der UBS etwa sagt man, Ende 2013 bei Vermögensverwaltungsverträgen auf völlig retrofreie Produkte umgestellt zu haben. Beratungskunden im Wealth-Management (reiche Kunden) hätten seit Ende 2015 Zugang zu einer «sehr breiten Palette an retrofreien Anlagefonds». Nach solchen Produkten sollten alle Kunden fragen.


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