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Soziologieprofessor: «Man sollte Aliens nicht anlächeln»

Der deutsche Soziologieprofessor Michael Schetsche ist überzeugt, dass es ausserirdisches Leben gibt. Im Gespräch erklärt er, welche Konsequenzen Kontakte mit Aliens für die Menschheit hätten – und wie man am besten reagiert, wenn vor der Haustüre plötzlich ein Ufo landet.

Till Hein 7 min
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«Vielleicht beobachten solche Wesen uns schon lange, halten uns aber für zu uninteressant für eine Kontaktaufnahme.» (Bild: Science Photo Library/Getty Images)

«Vielleicht beobachten solche Wesen uns schon lange, halten uns aber für zu uninteressant für eine Kontaktaufnahme.» (Bild: Science Photo Library/Getty Images)

NZZ am Sonntag: «Die Wahrscheinlichkeit der Existenz ausserirdischen Lebens muss als hoch angesehen werden», schrieben Sie unlängst in einem wissenschaftlichen Aufsatz. Ist das Ihr Ernst?

Michael Schetsche: Selbstverständlich. Schon allein aufgrund der jüngsten Erkenntnisse der Astrophysik und Astrobiologie. In den letzten zwanzig Jahren wurden sehr viele Exoplaneten entdeckt, die - genau wie die Erde - um einen Fixstern kreisen. Die meisten Astrophysiker gehen davon aus, dass es allein in unserer Galaxie mehr als zehn Milliarden Planeten gibt, die der Erde so ähnlich sind, dass auf ihnen Leben in unserem Verständnis entstanden sein könnte. Und viele Experten halten es für wahrscheinlich, dass es an unzähligen Orten im Universum auch tatsächlich Leben gibt.

Das Fermi-Paradoxon spricht klar gegen intelligente Ausserirdische.

Der Grundgedanke des italienischen Kernphysikers Enrico Fermi, auf den das Paradoxon zurückgeht, lautet ja: Wenn es intelligente Ausserirdische gäbe, deren Zivilisation weiter entwickelt ist als unsere, hätten sie längst den Kosmos erobert. Warum haben sie uns dann nicht besucht? Aber diese Sichtweise nimmt den Menschen zum alleinigen Massstab. Das Fermi-Paradoxon ist sogar eurozentristisch.

Eurozentristisch?

Ja. Vielleicht kennen Sie die Unterscheidung des französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss zwischen «heissen» und «kalten» Kulturen: Kalte Kulturen, etwa manche Stammesgesellschaften in Regenwäldern, orientieren sich an zyklischen Verläufen. Sie verändern ihren Lebensraum und ihre Lebensumstände kaum und ziehen nicht umher. Heisse Kulturen dagegen - insbesondere die europäische - entdecken, erobern und kolonisieren. Wieso sollten ausserirdische Zivilisationen zwangsläufig heisse Kulturen sein?


Der Soziologe und begeisterte Amateurastronom ist seit 2014 ausserplanmässiger Professor am Institut für Soziologie der Universität Freiburg i. Br. Seine Habilitation befasste sich mit der «Wissenssoziologie sozialer Probleme». 2002 wurde Schetsche Forschungskoordinator am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) in Freiburg. Till Hein


Der Schweizer Bestsellerautor Erich von Däniken behauptet, Ausserirdische hätten der Menschheit beim Bau der ägyptischen Pyramiden geholfen. Nehmen Sie das ernst?

Ich habe da starke Zweifel. Eine Erstellung der Pyramiden ohne Unterstützung aus dem All erscheint mir deutlich wahrscheinlicher. Man muss aber auch sagen: Dass intelligente Ausserirdische vor langer Zeit einmal auf der Erde gewesen sein könnten, lässt sich nach heutigem Wissensstand nicht ausschliessen.

Physiker haben errechnet, dass sich die Distanz von anderen Exoplaneten zur Erde mit einem Raumschiff nicht überwinden lässt. Der Bedarf an Energie und Zeit wäre viel zu hoch.

Für Ausserirdische wäre ein Ausflug zu uns vielleicht ein Kinderspiel. Sie könnten viel raffiniertere Antriebstechniken entwickelt haben als wir. Und denken Sie zum Beispiel an Generationen-Raumschiffe: Da könnte sich die Besatzung im Lauf der Reise an Bord mehrmals fortpflanzen. Vorausgesetzt natürlich, dass es sich bei den Aliens um eine biologische Spezies handelt.

Moment. Ist Leben nicht immer biologisch?

Leben ja, Intelligenz nicht unbedingt. Mir scheint es wahrscheinlicher, dass eines Tages intelligente Maschinen-Wesen aus dem All zur Erde reisen werden: von künstlicher Intelligenz (KI) gesteuerte Roboter. Vielleicht beobachten solche Wesen uns schon lange, halten uns aber für zu uninteressant für eine Kontaktaufnahme. Eine höher entwickelte Spezies landet ja nicht unbedingt mit einem Raumschiff vor dem Weissen Haus wie in Science-Fiction-Filmen. Vielleicht warten die Aliens, bis auch wir intelligente Roboter entwickelt haben, die uns Menschen überlegen sind.

Sie glauben, dass von Menschenhand geschaffene Maschinen-Wesen die Weltherrschaft übernehmen könnten?

Der Philosoph und Zukunftsforscher Nick Bostrom von der Oxford University geht davon aus, dass uns vielleicht bereits in den nächsten hundert Jahren eine künstliche Intelligenz, die wir selbst gebaut haben, in vielerlei Hinsicht überflügeln wird. Vielleicht wären solche Maschinen-Wesen für hochentwickelte Ausserirdische interessanter. Kann gut sein, dass wir als biologische Wesen für sie geistig zu langsam sind.

Wie darf man sich die Physiognomie intelligenter Ausserirdischer vorstellen?

Ich denke da, wie gesagt, primär an Maschinen-Wesen. Aber am menschlichen Körperbau orientierte Roboter, wie wir Menschen sie mit Vorliebe konstruieren, werden es wohl nicht sein. Wir können uns kein realistisches Bild von Ausserirdischen machen. Selbst Artefakte von Aliens, also Dinge, die sie gebaut haben, könnten schwer zu identifizieren sein. Deshalb haben wir 2016 das Forschungsnetzwerk Extraterrestrische Intelligenz gegründet, an dem Wissenschafter aus fast einem Dutzend unterschiedlichen Disziplinen beteiligt sind. Gemeinsam hoffen wir, realistischere Vorstellungen von Ausserirdischen herausarbeiten zu können.

«Ich hoffe nicht, dass sie allzu schnell mit uns in Kontakt
treten. Ich sehe diese Möglichkeit eher mit Besorgnis.»

Viele Soziologen beschäftigen sich mit handfesteren Themen wie etwa der Armutsforschung. Machen diese sich über Ihre Alien-Soziologie lustig?

Nein. Der einzige Einwand, der manchmal kommt, lautet: Könnte man Forschungsgelder nicht sinnvoller ausgeben?

Und? Könnte man?

Selbstverständlich sind auch andere Themenfelder relevant. Aber es gibt Ereignisse, die vorstellbar, aber unwahrscheinlich sind und deshalb vernachlässigt werden. Weil sie gewaltige Konsequenzen hätten, sollten wir uns mit ihnen befassen - etwa mit dem möglichen Kontakt zu Ausserirdischen!

Hoffen Sie, dass bald ein erster Marsmensch gesichtet wird, damit Sie Ihre Forschung nicht ständig legitimieren müssen?

Nein. Ich bin eher die Ausnahme unter den Forschern, die sich mit Ausserirdischen beschäftigen. Ich hoffe nicht, dass sie allzu schnell mit uns in Kontakt treten. Ich sehe diese Möglichkeit eher mit Besorgnis.

Ja? Der Verhaltensforscher Michael Tomasello sagte zu dieser Zeitung kürzlich: «Eine Invasion von Aliens wäre die Lösung.» Rassismus, Nationalismus und Religionskriege würden aufhören. Die gesamte Menschheit würde sich gegen den äusseren Feind verbünden.

Da bin ich völlig anderer Ansicht. Schon ein indirekter Kontakt mit Aliens würde die Konflikte auf der Erde weiter anheizen. Stellen Sie sich vor, Astronauten entdeckten zum Beispiel auf dem Mond eine rätselhafte, von Ausserirdischen entwickelte Hochtechnologie. Grossmächte und Konzerne würden doch alles dafür tun, dieses Objekt in ihren Besitz zu bringen, zu erforschen und Herrschaftswissen zu erlangen. Allein der Streit darüber könnte Kriege auslösen.

«Erst einmal gar nichts tun»: Vorsicht ist geboten, wenn einem Ausser­irdische begegnen. (Bild: Celina Alvarado/Getty Images)

«Erst einmal gar nichts tun»: Vorsicht ist geboten, wenn einem Ausser­irdische begegnen. (Bild: Celina Alvarado/Getty Images)

Wenn die Aliens selbst zur Erde kämen, liessen sich solche Missgeschicke vielleicht vermeiden.

Und wenn die Ausserirdischen aggressiv sind? Stellen Sie sich vor, ihre Zivilisation wäre uns in der technischen Entwicklung 20 000 Jahre voraus. Da wäre ein bewaffneter Konflikt wie ein Kampf Godzilla gegen Bambi. Lassen Sie uns also hoffen, dass es nicht so schnell zu einer solchen Begegnung kommt.

Sie sind ein Pessimist.

Ich bin Realist. Selbst falls die Ausserirdischen freundlich sein sollten, wäre ein Besuch von ihnen problematisch. Auf der Erde jedenfalls lief es bei sogenannten asymmetrischen Kulturkontakten bisher meist nicht gut: Bei einer grossen Diskrepanz zwischen den beiden beteiligten Kulturen bestand immer die Tendenz, dass jene Kultur, die sich selbst für unterlegen hielt, alles idealisierte, was die andere anschleppte. Wahrscheinlich würden wir alles aufgeben, was uns als Menschen ausmacht, und zu Hörigen der Aliens werden.

Gab es jemals eine Beobachtung, die seriöse Forscher als Hinweis auf Ausserirdische deuten?

Am 15. August 1977 nahm ein Radioteleskop in Ohio ein ganz kurzes, sehr starkes Signal auf, das aus dem Sternbild Schütze kam: das sogenannte Wow!-Signal. Bis heute haben Astrophysiker, die die Existenz von Aliens ausschliessen, keine Erklärung dafür. Und in den letzten Jahren machten geheimnisvolle Helligkeitsschwankungen des Himmelskörpers KIC 8462852 aus dem Sternbild Schwan von sich reden. Auch da diskutieren Fachleute sehr ernsthaft darüber, ob Aktivitäten von Ausserirdischen dahinterstecken.

Manche Astrophysiker senden Radiosignale an potenzielle Aliens ins Universum hinaus.

Ich halte das für unklug. Vielleicht gibt es, wie gesagt, gefährliche Ausserirdische. Und es kann sein, dass sie uns noch nicht entdeckt haben. Wir sollten daher nicht einfach ins Universum hinausschreien: «Hallo, hier sind wir!»

Die Notwendigkeit, sich mit den Risiken von Alien-Kontakten zu beschäftigen, sei heute «grösser denn je», behaupten Sie. Warum?

Wir dringen bei der Erforschung des Weltraums immer weiter vor. Und die menschlichen Aktivitäten im All werden in den nächsten Jahren stark zunehmen, zum Beispiel um Bodenschätze abzubauen. Bereits in etwa zehn Jahren werden wahrscheinlich erste Bergbauunternehmen im Asteroidengürtel tätig sein. Dadurch steigt, rein statistisch, die Wahrscheinlichkeit, dass wir dort oder an anderen Orten auf ausserirdische Artefakte stossen. Wir sollten also dringend Strategien entwickeln, um im Fall der Fälle zumindest das Schlimmste zu verhindern.

Was schlagen Sie vor?

Wir brauchen verbindliche Regeln. Nehmen wir an, Astronauten entdeckten eine Raumsonde von Ausserirdischen. Darf dieses Objekt auf die Erde gebracht werden? Soll damit experimentiert werden? Oder muss es zerstört werden? Wer darf es nutzen? Wann soll die Bevölkerung informiert werden? Auf alle diese Fragen müssen wir Antworten finden. Auch für mögliche Direktkontakte mit Ausserirdischen brauchten wir dringend international anerkannte rechtliche Grundlagen. Aber im Moment lässt sich das auf politischer Ebene leider nur schwer kommunizieren. Manchmal fühle ich mich an die lange Sorglosigkeit im Umgang mit der Kernenergie erinnert. Bei dieser Technologie könne nichts schiefgehen, machte uns die Atomlobby weis. Bis zur Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im April 1986.

«Viele Menschen würden
die Aliens als göttliche
Abgesandte oder Götter interpretieren.»

Was wird aus den Weltreligionen, falls uns tatsächlich Ausserirdische besuchen?

Im Koran gibt es einige Textstellen, die man so interpretieren kann, dass darin andere Planeten mit intelligenten Lebewesen beschrieben werden. Und polytheistische Religionen wie der Hinduismus hätten mit Aliens wohl erst recht kein grosses Problem: In ihre bunte Götterwelt könnten Hindus solche Wesen problemlos integrieren. Die christliche Religion dagegen täte sich, denke ich, schwer. Zwar ist in der Bibel von Engeln die Rede. Aber es würde sich die Frage stellen: Wer wurde von Jesus Christus erlöst? Nur wir? Oder auch die Aliens? Gab es für die eine zweite Jesus-Figur? In jedem Fall nehme ich an, dass durch einen Besuch von Ausserirdischen sehr schnell neue Kulte und Religionen entstehen würden. Viele Menschen würden die Aliens als göttliche Abgesandte oder Götter interpretieren.

Nehmen wir an, vor Ihrem Institut landet ein Ufo, und ein Alien steigt aus. Sollten wir dann um unser Leben rennen?

Nein. Ich würde raten, erst einmal gar nichts zu tun. Denn wahrscheinlich ist dieser Ausserirdische uns, was die technische Entwicklung betrifft, Jahrtausende voraus. Nur deshalb konnte er die riesige Entfernung zur Erde überbrücken. Vielleicht sind wir nicht einmal die erste fremde Zivilisation, die er besucht, und er hat schon Erfahrung, wie man solche Begegnungen am besten gestaltet. Ich würde empfehlen, abzuwarten, was der Alien anbietet.

Einfach freundlich lächeln?

Selbst davon würde ich abraten. Vielleicht haben Ausserirdische ja auch ein Gebiss. Und beim Lächeln zeigt man oft die Zähne. Das könnte als Drohgebärde aufgefasst werden und Aggressionen auslösen. Man sollte Aliens besser nicht anlächeln.